Abenteuer kann man nicht im Internet bestellen – Kurzgeschichte einer Namenlosen II

Der Begriff Abenteuer klingt verheißungsvoll. Abenteuer. Reisen, verrückte Pläne und mitreißende Bekanntschaften.
Das sind die Gedanken, welche mir wie in einem Fiebertraum durch den Kopf ziehen, während ich regungslos auf dem Bett verharre. Ich schaue durch das große Fenster, das die letzten Sonnenstrahlen des Tages mein Zimmer durchfluten lässt. Mein Kopf ist heiß, jeglicher Inhalt kreist wie dickflüssige Magma durch die Nervenbahnen und droht, zu einem Gesteinsfeld zu erstarren.
Noch eine ganze Weile liege ich so da, es fühlt sich an wie eine kleine Ewigkeit. In Wahrheit sind gerade einmal eine oder vielleicht zwei Stunden vergangen. Als der Hunger nicht mehr zu ignorieren ist, vertreibt dieser die Lethargie und macht somit Platz für die lebenserhaltenden Maßnahmen des Alltags. Auf dem Weg in die Küche sammele ich meinen Laptop ein und fahre ihn noch im Gehen hoch. Direkt nach dem ich Chicago X anklicke, tönt der Anfang von If You Leave Me Now durch den Raum und vertreibt die Stille. Bereits als der Refrain einsetzt, merke ich, wie mein Kopf sich beruhigt. Während ich den Inhalt des Kühlschrankes studiere, setzt eine Art Erleichterung bei mir ein.Wovon ich erleichtert bin, weiß ich selbst nicht genau, doch die klare Form der Gegenstände und die Kälte scheinen mich auf den Boden der Tatsachen zurückzubringen. Willkürlich suche ich mir ein paar Dinge heraus und fange an, diese, ohne einem bestimmten Plan zu folgen, zuzubereiten.
Ich bin es nicht gewohnt, so viel Zeit zu haben, noch weniger bin ich es gewohnt, allein zu sein. Diese Umstände geben mir das Gefühl, Zeit zu verschwenden. Meine Mutter würde an dieser Stelle sagen, dass es ungesund sei, seinen Puls ständig hoch zu treiben, doch ich merke besonders an Tagen wie heute, dass ich schlichtweg nicht anders kann.
Natürlich gibt es auch Momente, in denen das Verharren dringend von Nöten ist. Die Ruhe vor dem Sturm. Doch wenn nach der Ruhe kein Sturm in Aussicht ist, dann wird diese zum Gefängnis, dessen Gittertür man eigenhändig verschließt. Denn der Tatsache, dass dieses Problem einzig und allein von seinem unfreiwilligen Besitzer ausgeht, kann nicht einmal ich aus dem Weg gehen. In Wahrheit will ich dieses Problem auch gar nicht beheben; es ist viel angenehmer, Missstände zu akzeptieren und vor diesen zu flüchten, als die Ursache bei der Wurzel zu packen. Und es ist noch viel einfacher, diese Tatsache einfach zu ignorieren.
Die Zwischenzeit nutze ich, um Bruchteile von Nachrichten der Außenwelt an mir vorbeiziehen zu lassen. Während ich mir die Schlagzeile über den am weitesten von der Erde entfernten Stern halbherzig durchlese, keimt in mir der Wunsch auf, von hier weg zu fahren. Raus aus dieser Küche und raus aus dieser Leere. Einfach so. Weg. Sich in ein Abenteuer stürzen.
Ich öffne ein neues Fenster und tippe das Wort Abenteuer ein. Ich weiß nicht, was ich in diesem Moment erwarte, doch es ballt sich als ein großer Knoten der Hoffnung irgendwo unter meinem Brustbein. Meine Suche erhält circa 15 Millionen Ergebnisse in 0,57 Sekunden, von denen ich schon auf den ersten Blick enttäuscht werde. Denn was das Internet mir zu diesem Begriff verrät ist entweder, dass ich mit viel Geld, in nur wenigen Klicks einen weiten Flug buchen kann, der mich zu einem „abenteuerlichen“ Urlaub in Vollpension bringt oder aber, wo man die besten und diskretesten Escort-Damen engagieren kann.
Da ich weder an einem von Massentourismus verseuchten Strand Kokosnusswasser schlürfen, noch eine Prostituierte engagieren möchte, gehe ich an den Anfang zurück. Laut der Definition stammt das Wort Abenteuer ursprünglich aus dem lateinischen. Adveniere heißt „Ankommen“ und adventus bedeutet „Ankunft“. An einem Ort anzukommen bedeutet auch, ein Stückchen Heimat gefunden zu haben. Ich finde die Vorstellung wunderschön, durch seine Abenteuer ein heimatliches Gefühl vermittelt zu bekommen. Eben so, als wäre man angekommen: angekommen im Abenteuer.
Ich gebe meine Suche auf und erkenne, dass ich niemals ankommen werde, wenn ich mich weiterhin in einer solchen Erstarrung befinde. Anstatt Tage mit der Suche eines möglichen Zieles zu verschwenden, beschließe ich mich einfach auf den Weg zu machen.
Das Essen fängt an zu kochen, und auch die Endorphine fangen in meinem Bauch an zu sieden. Ich schalte den Herd aus, gehe zurück in mein Zimmer und hole eine Reisetasche hervor, die ich mit Inhalt zu füllen beginne. Es scheint mir nur wenig von dem, was ich besitze, wirklich wichtig zu sein. Nach nur fünf Minuten stehe ich mit angezogenen Schuhen im Flur. Noch einmal gehe ich in alle Räume der Wohnung, um diese mit überprüfenden Blicken zu versehen. Als ich in der Küche bin, schaue ich auf den Herd, auf dem noch immer der Kochtopf steht. Daneben liegt der geöffnete Laptop, als würde er nur darauf warten bedient zu werden. Ich lasse alles stehen wie es ist und schließe die Haustür hinter mir zu.
Wo ich hin möchte weiß ich noch nicht. Vielleicht fahre ich nach Bordeaux, um dort am Wasser frische Austern zu essen. Oder ich mache mich auf den Weg in den Osten, die Küste entlang bis in das Innere Polens, das immer so leise ist, aber so viel zu sagen hat. Was ich jedoch weiß ist, dass man Abenteuer nicht im Internet bestellen kann, und schon gar keine Heimat.