Ich würde dich gerne mal wieder

Ich würde dich gerne mal wieder halten. Würde gerne, dass du balancierend auf mir stehst. So selbstbewusst, fast ein bisschen arrogant, obwohl doch irgendwie wackelig auf den Beinen. Will mit dir rausziehen in die dunkle Stadt, an den Neonreklamen vorbei, zum nächsten Eklat, ins nächste Abenteuer. Wenn es sein muss, auch in die hippe Kneipe am Ende der Straße, zum nächsten Tinderdate.
Jetzt verstaube ich; nur ab und zu nimmst du mich in die Hand, läufst vor dem Spiegel auf und ab, wie eine aufgescheuchte Sau.

Du bist so faul geworden. Benutzt nur noch Gegenstände zweiter Klasse. Zum Beispiel diese hässlichen blauen Sneaker, die eigentlich nur noch für einen Spaziergang auf dem Land geeignet sind. Jetzt zählt ja nichts mehr, außer vielleicht Bequemlichkeit.
Du lässt dich gehen. Hast dein Duschpensum runtergeschraubt. Deine Haare sind fettig und deine Haut spröde.
Liegt es daran, dass du es dir um deinetwillen nicht wert bist? Brauchst du die Anerkennung der Bestien, die dich mit ihren Blicken verschlingen, sowie diese absurden Dementoren? Brauchst du die Neider, deren Füße jetzt ebenfalls in hässlichen Kuschelsocken stecken?
Du entgleitest dir selbst, wenn du nicht auf mich hörst.

Ich würde dich gerne Mal wieder halten. Will, dass du dich groß fühlst. Wichtig. Lebendig.
Zieh mich an, geh raus, dreh eine Pirouette.

 

 

Social Distancing

Vor ein paar Tagen habe ich noch über Hamstereinkäufe und Corona-Panik gelacht. Ich war in meinem Film, der aus Arbeit, Kaffee trinken mit Freunden und der nächsten Abendveranstaltung bestand. Ein Film, der sich zwar immer wiederholt, aber eben immer ein bisschen anders. Gerade so, dass wir es nicht bemerken, nichts dagegen unternehmen und vor allem – nicht hinterfragen.

Die Medien übertreiben, dachte ich. Das wird sich nicht drastisch für uns auswirken, dachte ich. Unsere gewohnte Realität nicht einschränken…

Jetzt sitzen wir zu Hause. Einige von uns mit einer Kündigung im Briefkasten, viele von uns mit Existenzängsten und alle ohne den Hauch einer Ahnung, wie sich die Dinge entwickeln werden und wann dieser „vorrübergehende“ Zustand vorbei sein wird.
Draußen ist alles ruhig. Drinnen ist alles ruhig. Zu ruhig.
Es fühlt sich an, als sei die Welt auf Pause gedrückt worden. Von heute auf morgen leben wir nur noch virtuell. Die Tagesschau ist das Highlight des Abends, obwohl ich früher kaum die Nachrichten verfolgt habe.
Wie werden die nächsten Wochen aussehen? Werde ich den lieben langen Tag durchs Internet surfen, Bücher lesen, schlafen und den Bäumen in meinem Hinterhof beim Wachsen zuschauen?
Es ist die erste Woche, in der die Devise Social Distancing unser aller Leben prägt, und ich werde verrückt. Beginne damit meinen Exfreunden zu schreiben, auf und ab zu laufen und gegen die Panik anzukämpfen. Mein Zimmer ist aufgeräumt, die Dusche geschrubbt und die Gläser poliert. Was nun?

Ich kann mich den Hoffnungsstiftern nicht ganz anschließen, die versuchen uns mit den positiven Seiten der Quarantäne zu ermutigen. Nutzt die Zeit, sagen sie, werdet kreativ, schreiben sie – Doch da ist dieser Nebeneffekt des Virus, der alle betrifft, die gesund auf ihren Sofas sitzen.
Eine dunkle Wolke der Ungewissheit schwebt über uns. Über jedem von uns. So etwas hat es noch nie gegeben, oder wie Angie sagt; wir stehen vor der größten Herausforderung seit dem zweiten Weltkrieg.
Wir sind eine Generation, die mit Luxusproblemen aufgewachsen ist. Wir kennen keine gesellschaftlichen Krisen, die tatsächlich unser Leben beeinflusst, geschweige denn beeinschränkt haben. Was wir kennen, ist eine äußere Stabilität, die uns immer die Möglichkeit gab, uns ganz mit uns selbst zu beschäftigen, zu Egoisten zu werden.

Ich habe keine Angst vor dem Virus, der sich in meiner Timeline, meinen Gesprächen und meinen Gedanken verbreitet hat.
Für mich ist er nicht bedrohlich. Ich habe Angst vor den gesellschaftlichen Folgen dieser Pandemie. Werden unsere Kultur, unsere Wirtschaft und unsere Demokratie das heil überstehen? Werden wir in acht Wochen wieder back to normal gehen können und alle zusammen den Sommerbeginn feiern oder wird es zu einer Disruption unserer bisherigen Normen kommen?
Die Gesellschaft muss sich jetzt fragen, was sie zu einer macht, wenn alles stagniert, wenn Fließbänder stillstehen, Theatersäle leer sind und Bildungseinrichtung geschlossen haben.

Außerdem ist da noch die Frage, wer ich eigentlich bin, abseits meines Hamsterrades.
Wenn der Film zu Ende ist und der Abspann gelaufen, was fühle, sehe, denke ich dann?
Wofür lebe ich, wenn nicht für den Film, der aus Arbeit, Kaffee trinken mit Freunden und der nächsten Abendveranstaltung besteht? Wer bin ich, wenn nicht das, was ich kaufe, wen ich treffe und was ich mache?

Es gibt keine Blaupause zur Beantwortung dieser Fragen; gerade deshalb müssen wir sie stellen.
Denn eines haben wir zu dieser Nullstunde gemeinsam: Genug Zeit, um uns Gedanken über mögliche Antworten zu machen.

Gedankenkotze – Oder ein Liebesbrief an mein 16 jähriges Ich

Es ist ein gesellschaftliches Gesetz, dass man zu älteren Menschen aufblickt. Auch wenn es im Grunde keine Rolle spielt, welchem Jahrgang man angehört, gibt es doch immer diese unsichtbare Grenze, die das Verhalten steuert. Zu jüngeren blickt man automatisch etwas herab und vor den älteren hat man Respekt. Natürlich ist dieses Phänomen darauf zurückzuführen, dass man automatisch davon ausgeht, jemand der ein oder zwei Jahre älter ist, habe auch genau ein oder zwei Jahre mehr Zeit gehabt Erfahrungen sammeln zu können. Und natürlich entspricht es auch irgendwo der Wahrheit, dass einen diese Erfahrungen reifen lassen; doch diese unsichtbare Grenze, dieses ungeschriebene Gesetz ist der reinste Unsinn.

Manchmal machen einen Erfahrungen nicht schlauer oder reifer. Manchmal stumpft man mit der Zeit einfach ab. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich in den letzten drei Jahren erwachsener geworden bin. Ganz im Gegenteil, ich glaube eher, dass ich in dieser Zeit wesentlich beschränkter und gleichgültiger geworden bin. So als würden für jedes Gramm Lernstoff, das ich in mich hineinstopfe, zwei Gramm Erkenntnis und Sinnhaftigkeit aus meinem Großhirn geschabt werden.

Alles was jetzt gerade in meinem Kopf herumschwimmt ist die Schule, die vor Sinnlosigkeit strotzt und einzig dazu da ist, beendet zu werden. Daneben steht noch die Flucht in den Exzess mit deren Hilfe versucht wird ersteres erträglich zu machen. Dabei haben diese gegensätzlich erscheinenden Dinge mehrere Gemeinsamkeiten: Da wäre die Inhaltslosigkeit. Das Ziel dieses Jahres liegt darin ein paar Prüfungen zu bestehen – als ein kleines Rad im System bringt mich das weiter, als Mensch jedoch nicht. Das Wochenende soll durch exzessive Ablenkung die Sorgen vergessen machen und einem für ein paar Momente das Gefühl geben, dass man mehr als nur ein kleines Rad im Getriebe ist. Die Serienmarathons, das Onlineshopping und die Handysucht füllen den Alltag, den Kopf machen sie dagegen immer leerer.
Dann ist da noch der konstant sinkende Anspruch. Je stumpfer und hohler der Kopf wird, desto niedriger sind die Ansprüche an den eigenen Intellekt. Gegenläufig dazu steigen ironischerweise die Erwartungshaltungen an die äußeren Geschehnisse. Hier wird immer mehr verlangt, um dem eigentlich leeren Anspruch zu entkommen. Mehr Konsum, mehr Unternehmungen mehr Ablenkung, mehr Mehr.

Ich fühle mich, als würden sich meine emotionalen Fähigkeiten zurückentwickeln, während die Monate schneller vorüberziehen als ich sie im Kalender ausstreichen kann. Als würde ich für jeden biografischen Schritt nach vorne, wieder zwei geistige Schritte zurückstolpern und irgendwann schließlich als hirntote Qualle bei null ankommen.
Schon jetzt habe ich das Gefühl, als Kind mehr über richtig und falsch gewusst zu haben, als ich es jemals wieder tun werde. Es ist fast so, als hätte ich mit sechzehn meinen geistigen Zenit überschritten. Danach ging es nur noch bergab.
Dieser Gedanke entspringt nicht aus kitschiger Nostalgie heraus, ganz im Gegenteil, er beruht auf Recherche: Als mir das einen Schritt vor und zwei zurück Konzept in den Kopf kam, las ich meine Notizen der letzten Jahre noch einmal. Im Jahr 2016 hatte ich tatsächlich die geistreichsten und produktivsten Gedanken, die ich jemals gedacht habe. Alles was danach kam, war Gedankenkotze. Oder Lethargie.

Mit sechzehn wusste ich zwar schon nicht mehr was richtig und was falsch war, doch ich wusste, dass es wichtig ist die Dinge um sich herum zu beobachten. Wie ein Rätsel, das es weder zu lösen noch zu verstehen gilt, sondern mit dem man sich einfach beschäftigen muss.
Ich wundere mich, wo diese Gedanken geblieben sind, die mich manchmal wochenlang beschäftigt haben. Ich wundere mich, wo das unglücklich verliebte, sechzehnjährige Mädchen hin ist, das die Leiden des jungen Werther mehr gefeiert hat als Dieter Bohlen seine Camp David Polohemden. Ich wundere mich, wann meine Moral einem Haufen Müll Platz gemacht hat und mir plötzlich so vieles egal wurde.
Manchmal glaube ich, mir ist die Fähigkeit der Differenzierung abhanden gekommen (*trauriger smiley*).
Aus diesem Grund nehme ich mir einen Vorsatz, auch wenn ich Vorsätze absolut beschissen finde.
Ich möchte wieder mehr nachdenken und mehr lesen, ganz egal ob Goethe oder Paul Auster, Hauptsache weg von der physischen Welt, die mein Gehirn dumpf macht.

Vielleicht wird man mit der Zeit auch gar nicht schlauer und Altersweisheit ist etwas, was man uns erzählt, damit das Altwerden nicht ganz so aussichtslos erscheint; Vielleicht lernt man nur gerade so viel, dass man meint nicht mehr selbst nachdenken zu müssen.
Was aus diesem Konzept hervorgeht sind Rentner, die immer noch an dem Glauben festhalten, dass man blond sein muss um sich deutsch zu fühlen. Oder aber Mittvierziger die so beschäftigt arbeiten, dass sie gar nicht merken, dass wir auf eine Krise zusteuern, wenn wir nicht umdenken.
Ob es nun die #fridaysforfuture Aktion ist oder einfach die allgemeine Fähigkeit junger Menschen, die Dinge häufiger zu hinterfragen, es zeigt sich, dass man aus Erfahrungen nicht unbedingt schlauer, sondern manchmal nur voreingenommener wird.
Auch wenn ich erst auf die Zwanzig zugehe, fühle ich mich alt. Es ist fast so, als wären meine Gehirnzellen verstaubt und jetzt denke ich wie ein alter Nazi Opa, nur eben ohne ein Nazi zu sein.

Kurz gesagt: Ich möchte wieder ein bisschen mehr sechzehn sein und aufhören über die unsichtbaren Grenzen der Generationen zu stolpern, welche sich in Luft auflösen, sobald man bereit dazu ist, sie als reinsten Unsinn anzuerkennen.

 

Nachtrag vom 10. März:

Hurra, ich fühle mich wieder wie 16. Nur eben in erwachsener.