Touristen im Nieselregen

Wenn ich schreibe, dann meistens darüber, dass ich weg will. Über Fernweh, Überdruss und Unzufriedenheit im Allgemeinen lässt es sich so unglaublich leicht beklagen.
Unzufrieden zu sein ist einfach; sich über das Wetter, die viele Arbeit und die hinter jeder Ecke lauernde Hirnlosigkeit dieser Welt zu alterieren fällt leicht, manchmal kann man gar nicht mehr anders. Nach dem Urlaub ist das bei mir immer besonders schlimm: Kaum zurück, will ich meistens sofort wieder weg und fange schon an die nächste Reise zu planen, bevor der Koffer überhaupt ausgepackt ist.
Vorweg muss gesagt werden, dass ich kein Fan von dem Good-Vibes-Only-Trend bin, welchen manche Menschen fast schon verbissen versuchen umzusetzen. Es gibt Arten schlechter Laune, die ich richtig genießen kann. Vielleicht ist das ja was Norddeutsches, der graue, regnerische Himmel und ein düsterer Gesichtsausdruck geben jedenfalls ein wunderbar stimmiges Bild ab. Aber manchmal ist schlechte Laune nicht ästhetisch verwertbar, sondern einfach nur schlecht: unproduktiv, mangelhaft und moralisch nicht einwandfrei.

Wir alle hassen den Alltagstrott, doch der Alltag heißt eben nur wie er heißt, weil er, zwar nicht alle, aber zumindest die meisten unserer Tage in Anspruch nimmt. Und selbst für mich, die ich schlechte Laune manchmal zelebriere, ist es zu viel, drei Viertel meines Lebens mies gelaunt durch die Gegend zu stapfen. Natürlich: Lange Schul- oder Arbeitstage sind beschissen, Leistungsdruck und Stress sind beschissen, und tausend andere Dinge im Leben sind ebenfalls beschissen. Aber manchmal sollte man sich vielleicht dazu zwingen, zu Hause anzukommen und den Koffer beiseite zu legen. Denn wenn man gut plant und sich auf die richtigen Dinge fokussiert, kann auch der Alltag ein bisschen nach Urlaub schmecken. Beim Italiener am Montagabend, dem Endecken neuer Cafés oder der plötzlichen Beobachtung, wie schön der Sonnenuntergang über den heimatlichen Dächern eigentlich aussieht. In solchen Momenten ist man ein klein wenig Tourist und bleibt plötzlich mitten auf der Straße stehen, um die Fassaden zu begutachten, an denen man sonst täglich vorbeigeht.
Das sind vielleicht nur zwei Stunden mit den Freunden, weil ja alle irgendwie beschäftigt sind.
Doch genau diese kurze Zeit ist es, die einen langen Tag nicht mehr ganz so lang wirken lässt und in der man ein kleines bisschen tropische Sonne im kalten Nieselregen findet.

Bevor ich es bereue und wieder mein ernstes Herbstgesicht aufsetze, muss ich es also einmal loswerden:
Ich liebe dich Flensburg, auch wenn ich es meistens nicht zeigen kann…

 

 

Persönlichkeitskonsum

Samstagabend.
Ich sehe euch
aus dem Fenster
doch ihr mich nicht.

Bin allein,
eingebettet im Kokon,
ein Raum indem
alles aussieht wie ich
alles riecht wie ich
alles klingt wie ich

Niemand denkt an dich,
wenn du dort bleibst.
Wenn doch, stell dich stumm.
Geh nicht runter,
du wirst ihn vermissen,
deinen Kokon.

Nur heute Abend
konsumiert mich niemand.
Morgen ist ein neuer Tag;
morgen seht ihr mich.

Verpasster Anruf von der Veränderung…

…doch ich rufe nicht zurück, weil –
Wieso, weiß ich auch nicht genau. Eigentlich habe ich schon immer auf diesen Anruf gewartet, doch genau jetzt, genau in dem Moment, in dem es Ernst werden könnte, bin ich erstarrt, traue mich nicht einmal mehr, den kleinen Finger zu rühren.

Wie es zu diesem Anruf kam ist ganz einfach; jeder Mensch, der die Marke der Volljährigkeit überschritten hat, oder sich in Sichtweise eben dieser befindet, macht sich Gedanken über seine jetzige Situation und über die Richtung, in die er sich gerne Bewegen würde. Von „ich weiß nicht was ich morgen essen will“ bis „wird unsere Generation noch eine sichere Rente beziehen?“, spielt alles in dieses grüblerische Veränderungswesen hinein.
Viele scheinen das eher als etwas Positives wahrzunehmen, entweder, weil sie zufrieden sind, so wie es ist, oder weil bei ihnen alles von alleine in die richtige Richtung zu laufen scheint. Bewundernswert und zugleich die Antipathie anregend, denn Normalsterblichen geht es eben nicht so. Normalsterbliche grübeln, besonders über Veränderungen.

An einem sonnigen Nachmittag saß ich also in diesem Café. Es war zu warm für die Jacke die ich trug, doch meine Füße froren in den neuen Sandalen. Das Buch, das ich las, handelte davon, sich von Dingen zu lösen, die einen daran hindern, genau das zu tun, was man will. Es deprimierte mich, dass es als so einfach beschrieben wurde, alles Toxische aus seinem Alltag zu verbannen und nur noch frische Mangos auf karibischen Inseln zu verschlingen. Ich legte das Buch beiseite um zu grübeln. Ich grübelte über die Zukunft und malte mir verschiedene Möglichkeiten eines Alltags, wie er mir Mitte 40 widerfahren könnte, aus. Natürlich gab es da die idealistische Vorstellung von dem modern eingerichteten Haus mit Glasfronten, einem Teich im Garten und der eigenen Sauna. Doch andere Visionen waren voller Unzufriedenheit, Mittelmäßigkeit oder Burnouts. Diese Visionen sorgten nicht nur für ein unerträglich flaues Gefühl im Magen, sondern auch dafür, dass ich zu zweifeln begann.

Wenn man sich im Stadium der Volljährigkeit befindet, denkt man noch, man hätte genug Zeit, die Dinge zu verändern. Jahrelanges Pauken ist die Bedingung für eine qualifizierte Arbeitsstelle. Der an den Kräften und der Freizeit zehrende Nebenjob wird als Notwendigkeit für ein gewisses Maß an Wohlstand gesehen und auch die freien Wochenenden oder der Urlaub ändern nichts an der Tatsache, dass der Alltag eine Übergangssituation ist. Da bleibt wenig Freiraum für etwas Neues, etwas, wovor man sich fürchtet, weil es die Dinge verändern könnte. Doch man glaubt trotzdem daran, unheimlich viele Möglichkeiten zu haben und alles erreichen zu können, was man will. Später natürlich, jetzt besitzt ja gerade xyz Priorität. Es fühlt sich an, als würde man auf etwas Großes hinarbeiten. Wenn dies und jenes fertig ist, steige ich eine Treppenstufe zum Tempel des „Geschafft Habens“ herauf. Und jeder Abschluss, jedes erworbene Vitamin Beziehung lässt einen fälschlicherweise denken, man wäre einen Schritt vorangekommen.
Irgendwann stellt man fest, dass sich jede Treppenstufe gleich anfühlt. Nicht höher, nicht besser, alles bleibt eine Zwischenstation. Und je mehr man darauf hinarbeitet, desto weniger verändert sich in Wirklichkeit. Der Tempel oberhalb der Treppenstufe ist kein Ziel, sondern der irdische Tod.

Und als ich da mit frierenden Füßen und flauen Magen im Café saß, wurde mir klar, dass man niemals richtig ankommt. Wenn ich mit 45 Jahren einen kurzen Augenblick an meinem Teich sitze, dann kann es sich schnell so anfühlen, doch ehe ich mich versehe, bin ich geschieden oder mir wird gekündigt. Dann ist es wieder da, das Gefühl auf etwas hinarbeiten zu müssen, um vor der Unzufriedenheit zu fliehen. Der Unterschied ist nur, dass ich nicht mehr in der Einstellung verfestigt sein werde, vor einem Meer der Möglichkeiten zu stehen. Wenn ich meinen Zenit überschritten habe und erneut an einen Punkt gelange, vor dem ich mich bereits in diesem Hinterhofcafé fürchtete-…
Der Grund, wieso ich überhaupt über all das nachdachte, war ganz einfach der, dass ich unzufrieden war. Diese Unzufriedenheit über die Gegenwart sorgte für die nasskalten Gedanken über die Zukunft und für die Sehnsucht nach einer Veränderung.
Mein Handy klingelte, es war eine unbekannte Nummer. Nicht ganz unbekannt, denn vor einiger Zeit traute ich mich, meinen Zeigefinger nach der Suche einer Neuerung aus meinem Kokon zu strecken. Diese Geste sollte einen verzweifelten Versuch darstellen, etwas zu verändern. Ich wurde gesehen und man wollte meine ganze Hand nehmen. Die Veränderung rief mich vermutlich an, doch ich traute mich nicht, ihr meine Hand zu reichen.
Als das Handy aufhörte zu klingeln, stellte ich bedauerlicherweise fest, dass die Veränderung keine Nachricht hinterlassen hatte. Ich weiß nicht, ob sie es wirklich war, geschweige denn, ob ich sie wirklich wollte. Doch ich traute mich nicht, zurückzurufen.

Ich verbrachte noch ein paar reglose Minuten damit mich zu fragen, wann ich das nächste Mal angerufen werden würde. Schließlich stand ich auf, um zu bezahlen. Beim Gehen stellte ich fest, dass der Himmel mittlerweile von reinweißen Wolken überzogen war. ‚Ist ja auch in Ordnung so‘, dachte ich beim Überqueren der Straße aus Kopfsteinpflaster und war plötzlich froh, den Anruf nicht angenommen zu haben.

-Bild: @cbhoyo