Erste Male

Ich erinnere mich noch genau an das erste Mal,
an dem ich den Mond als dreidimensionalen Körper wahrgenommen habe.
Mein Alter betrug eine einstellige Zahl
und ich fühlte mich wie Galilei an einem bahnbrechenden Tage.

Ich erinnere mich noch genau an den warmen Sommertag,
an dem ich schwerelos im Ozean lag,
die Sinne durch erfrischende Klarheit gekühlt
und das erste Mal spürte, wie sich Freiheit anfühlt.

In mir spinnt die Erinnerung noch immer ihr Garn,
von dem Moment, an dem ich dich zum tausendsten Mal anschaute,
das von Fremden bestimmte Ideal in mir langsam abflaute
und ich zum ersten Mal unverhüllte Schönheit wahrnahm.

All diese kleinen Bruchteile unserer Existenz,
in denen es im Kopf einmal „Klick“ macht,
dem Film einen nicht sichtbaren Schnitt bracht
und ein neuer Takt das Gewohnheitslied abgrenzt.

Denn vielleicht ist unser Sein eine Melodie,
in der jede Erinnerung eine Note ist,
in der jedes erste Mal eine viertel Pause misst –
Nach der ein neuer Ton ohne Garantie,
ohne die Sicherheit der Einstimmigkeit,
in unser kleines Lied einsteigt.

Ich erinnere mich noch an all die ersten Küsse die kamen;
Von dem mit der Freundin zwischen Decke und Lachen
über die, die ihm wichtig, mir gleichgültig waren,
bis hin zu uns, die wir weder wussten was denken noch machen.

Ich spüre noch jetzt frostigen Wind auf nasser Haut,
der Blick in die Tiefe, das Herz pochte laut,
als ich das erste Mal in die gefühlte Unendlichkeit sprang,
die nach fünf Metern im eisigen Wasser ausklang.

Oder, als das erste Mal mein Fundament zusammenbrach;
Doch als ich merkte, dass sich Trümmer zu Bausteinen entfalten,
konnte ich schon bald mein Umfeld gestalten,
nach der Art, die meiner subjektiven Ansicht entsprach.

Nun meine Frage an dich,
eigentlich simpel und schlicht, lautet:
Wann hast du das letzte Mal
etwas zum ersten Mal
gemacht, gedacht, gefunden,
gefühlt oder dich um ein neues Thema gewunden?

Denn vielleicht ist unser Sein eine Melodie,
in der jede Erinnerung eine Note ist,
in der jedes erste Mal eine viertel Pause misst –
Nach der ein neuer Ton ohne Garantie,
ohne die Sicherheit der Einstimmigkeit,
in unser kleines Lied einsteigt.

Und ich habe Angst im Kreisverkehr nicht die Ausfahrt zu finden,
mich immer wieder um den selben Kreisel zu winden,
immer wieder und wieder und wieder im Kreis,
immer wieder und wieder der selbe Scheiß –

also starte ich einen Aufruf an mich
und an jeden der diese Kreiselangst teilt;
Nicht immer wieder und wieder die Runde zu drehen,
nicht im biederen Mieder bewegungslos stehen,
sondern vom Gewohnheitskreis, mal abgeseilt
zu neuen Richtungen aufzubrechen.

Ein schlauer Mensch sagte einmal,
dass du als Eigentümer deiner Selbst
nie vollkommene Ruhe in dir hältst,
doch es sehr wohl sein kann,
dass es die Unruhe ist, die dich dann
von innen heraus lebendig macht

Ich sehe vor mir all diese ersten Male,
die ich als Fantasien in mir trage,
die mir die Art von Unruhe geben,
die mich lebendig macht, nach der ich kann streben.

Vielleicht das erste Mal ein Risiko wagen,
im Winter im eiskalten Wasser baden,
eine noch nie eingestandene Wahrheit laut sagen
oder statt Märchen und Fabeln einfach mal blank zu ziehen.

Ich habe es noch nie gemacht ist keine Ausrede mehr.
Nein, es ist nur noch ein weiterer Grund
jetzt endlich damit anzufangen.
Wage einen physischen oder gedanklichen Sprung,
der deine Melodie ein klein wenig vieltöniger macht

Denn wenn jede Erinnerung eine Note ist,
ist vielleicht auch jedes erste Mal eine Viertelpause;
Nach der ein neuer Ton ohne Garantie –
ohne die Sicherheit der Einstimmigkeit
in unser kleines Lied einsteigt.

 

Kühlhaus Flensburg, 23.11.17

Foto: Leon Meschke

S-Bahn Poesie Teil 1

Halte bitte nicht an
Fahre weiter
Immer weiter
Auf den Gleisen

Die den Rädern den Weg
Aufzeigen, euch weisen
Selbst durch undurchdringliche
Nebelschwaden

Fahre weiter durch Feuer
Verbrenn‘ dein Metall
Sehne dich nach Regen
Bis er kommt

Lächele der Sonne entgegen
Wenn sie scheinend
Auf deine fahrenden
Wagen schaut

Dir ist die Mündigkeit gegeben
Befreie die Hände
Vom Beten, strecke sie aus
Male mit ihnen.

 

Mit der Bewegung
Wird Raum zerschnitten
Zeichnest, wer du bist
In die Luft

Damit sie merkt
Wie du fährst
Geschwindigkeit überschreitend
Den Weg ohne Anfang und Ziel

Mache alles
Aber bitte fahr‘ weiter
Immer weiter
Auf den Gleisen

Denn wirst du langsamer,
Der Durchzug leiser,
Spüre ich die Kälte des Regens
Auf meiner Haut

Also fahr‘ bitte weiter
Damit ich nicht merke
Wie verloren ich bin.

Wenn es regnet

Wenn es regnet, wünsche ich mir,
ich könnte Französisch sprechen
dann sitz‘ ich im Hier
und träume davon, Barrieren zu brechen

Wenn es regnet, träume ich sowieso zu viel
von Reisen oder einem ferneren Ziel
von kalten Gewittern aus warmen Betten betrachtet
verträume, was ihr als Glück habt gepachtet

Wenn es regnet, denke ich an all die Momente, die wir teilten
an all die Orte, an denen wir weilten
dann ist jeder Tropfen Gefühl
dann ist das Prasseln wie unsere Worte – so kühl

Wenn es regnet, merke ich, wie sehr ich dich brauche
dann wäscht Wasser das Leid der Erkenntnis von mir
denn, obwohl ich in dunkler Einsamkeit tauche,
bist du – mein lieber Regen – im Hier